Das Bewußtsein, privilegiert zu sein

Stephan Schäfer ist Manager und Journalist, war Chefredakteur von bekannten Zeitschriften wie “Brigitte” und “Schöner Wohnen” und wurde irgendwann CEO, also Chef vom Verlag Gruner + Jahr, bei dem ich vor vielen Monden einmal den Beruf des Verlagskaufmanns erlernte. Mitte 2022 schied Schäfer aus und nun veröffentlicht er sein erstes eigenes Buch. 25 letzte Sommer.

“Am Küchentisch eines alten Bauernhauses treffen zwei Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Erzähler dieser Geschichte führt ein gehetztes Leben, das er als endlose To-do-Liste empfindet; Karl hingegen sortiert Tag für Tag Kartoffeln – und denkt nach. Als Karl seinen Gast mit der Tatsache konfrontiert, dass ihm noch ungefähr 25 Sommer bleiben, beginnen beide ein Gespräch über die großen Fragen des Lebens: Warum verbringen wir so viel Zeit mit unserer Arbeit anstatt mit den Menschen und Dingen, die uns wirklich wichtig sind? Woher nehmen wir den Mut, unsere eigenen Träume zu verwirklichen? Und warum beginnt das richtige Leben oft erst, wenn wir erkennen, dass wir nur eines haben?”

Stephan Schäfer ist 49 Jahre alt und damit exakt 10 Jahre jünger als ich, würde ich also ein vergleichbares Buch schreiben, dürfte es wohlmöglich maximal “15 letzte Sommer” heißen, aber damit wäre ich nicht zufrieden. Wie ich auf dieses Buch komme (das ich noch nicht gelesen habe)? Nun, ich bin ich nicht erst seit heute und nicht erst in Australien auf den Gedanken gekommen, dass man vielleicht gut damit fährt, wenn man ab und zu seine Perspektive überdenkt. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nie so etwas wie einen Karriere- oder gar Lebensplan, ich habe viele Dinge so genommen, wie sie gekommen sind. Auch geht mir so etwas wie Ehrgeiz gänzlich ab, was wohl auch dazu geführt hat, dass ich keine überragende Karriere gemacht habe, aber ich habe etwas, was viele meiner Geschlechts- und Altersgenossen nicht haben, ich bin zufrieden. Zufrieden mit dem, was ich habe und zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Denn hätte mich eine Verlags- oder sonstwas-Karriere wirklich glücklicher und zufriedener gemacht als ich es heute bin? Hätte mich ein 5er-BMW als Firmenwagen glücklicher gemacht als der 3er, den ich Anfang des 21. Jahrhunderts von meiner Firma gestellt bekam?

Die Frage, warum viele von uns mit im Grunde unwichtigen Dingen wie Statussymbolen und Geld mehr beschäftigt sind als mit Menschen, Freunden, Familie etc., müssen diese selbst beantworten, mich haben diese Sachen nie wirklich interessiert und heute interessieren sie mich noch weniger. Aber dafür habe ich eines, ich habe ein Bewußtsein dafür, dass ich privilegiert bin. Ich werde nächstes Jahr 60 und bin noch nie ernsthaft krank gewesen (jetzt aber schnell ein Stück Holz suchen). Ich bin vor 3 Jahren noch über den Tongariro, vielen vielleicht eher als der Mount Doom oder der Schicksalsberg aus “Herr der Ringe” bekannt, geklettert, etwas, was viele 40-jährige nicht hinkriegen würden. Ich habe das große Glück, mitten in einem Nationalpark in einer der schönsten Ecken der Welt zu leben, zusammen mit meinen beiden Jungs, denen es ebenfalls gutgeht. Charlie ist der Kater, der wohl am weitesten von allen Katzen gereist ist, er ist allein um die halbe Welt geflogen, um hier zu sein, während Chandu als fast 50 kg Rhodesian Ridgeback der Meinung ist, dass mein Bett eigentlich ihm gehört. Ich kann jeden meiner Tage so gestalten, wie ich es möchte und wer kann das bitte von sich sagen. Das Gute ist: Ich weiß, wie außergewöhnlich dieses Leben und dieser Luxus ist und ich bin dankbar dafür.

Dankbar besonders auch deshalb, weil dieses Jahr einige gute Bekannte, frühere Arbeitskollegen oder Kunden, aber auch frühere Freunde gestorben sind, einige um einige Jahre jünger als ich. Bei vielen ist es so, dass genau in solchen Momenten das große Grübeln beginnt, ich aber grüble nicht, ich trauere um diese Menschen und ich weiß, wie gut es mir geht. Vor einiger Zeit bin ich über den Text eines alten Liedes von Udo Jürgens (ja, ich weiß) gestolpert.

Ist das nichts, daß du helfen kannst, wenn du nur willst? Ist das nichts, dass du Sehnsucht nach irgendwas fühlst , dass du lebst, wo die Freiheit ein Wort nicht nur ist, Ist das nichts, ist das nichts, ist das wirklich nichts? Hör′ mir zu, meinst du nicht, du es wär’ endlich Zeit für ein wenig Dankbarkeit? (Udo Jürgens, “Ist das nichts?” 1979)

Der Text ist 44 Jahre alt, hat aber nichts von seiner Aktualität eingebüßt, denke ich. Denn vielen von uns ist die Dankbarkeit abhanden gekommen, die Meisten nehmen den IST-Zustand als gottgegeben hin und finde es selbstverständlich, dass es ihnen eigentlich gutgeht. Dieses Weltbild fängt immer erst dann an ins Wanken zu geraten, wenn es plötzlich nicht mehr wie von allein läuft, oder? Ich jedenfalls bin dankbar. Dankbar dafür, dass ich so lange das Privileg hatte, meine Eltern zu haben (zum Glück habe ich sie immer noch), denn Beide sind über 80 und ich weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich denke, im Leben geht es im Wesentlichen darum, so oft wie möglich glücklich und die meiste Zeit zufrieden zu sein, aber das muss man sowohl wollen wie auch zulassen. Mir ist schon bewusst, dass dies ein vielleicht seltsamer Text für einen Australien-Blog ist, aber zum Glück ist es mein Blog und auch das macht mich überaus zufrieden: Dass ich hier schreiben kann, was ich will und was mich bewegt.

 
Passt auf einander auf.

6 Kommentare zu „Das Bewußtsein, privilegiert zu sein“

  1. Ein sehr, sehr bewußter und zum Nachdenken und Reflektieren anregender Beitrag, Ulli.
    Hilft, wie ich finde, enorm, die vielen positiven und manchmal selbstverständlich erscheinenden Dinge des eigenen Lebens, trotz des Hintergrundes der vielen furchtbaren Geschehnisse in aller Welt, zu erkennen und wertzuschätzen.

  2. Tach Ulrich, ein ganz feiner Beitrag. Ich überrasche mitunter Freunde und Bekannte zb an der Kasse beim Edeka: Ey Hannes wie geht’s? Ich: Gut. Wirklich sehr gut. Die raffen dann gar nichts mehr. Ich erkläre dann: weisst du was? So sechs bis sieben Milliarden Leuten auf der Erde geht es gerade schlechter als mir, vielen sogar saudreckig. Und allein deswegen bin ich zufrieden. Dann machts Klick und die denken beim Einladen am Kofferraum noch nach.

    1. Ich glaube, mit 6 bis 7 Milliarden kommst du nicht hin. Ich tippe mal, dass es wahrscheinlich 90% der Weltbevölkerung schlechter geht als dem Durchschnitts-Deutschen, das wären dann ca. 7,3 Milliarden Menschen.

  3. Was ich auch immer schon fragen wollte: Wie hat der Kater eigentlich die lange Reise damals überstanden? War der nicht völlig durch den Wind? Hat er sich vier Tage erstmal unterm Schrank verkrochen? War er in Hamburg ein „Draussentier?“ . Wenn ja, …hatte er Tendenzen abzuhauen in die weite Gegend, um seine alte gewohnte Umgebung wiederzufinden?

    1. Charlie hat die Reise erstaunlich gut überstanden, aber er hatte natürlich auch 5-Sterne-Service, immerhin hat die ganze Veranstaltung insgesamt knapp € 5.000 gekostet. Er musste nach der Ankunft zuerst einmal noch 9 Tage in Quarantäne in der Nähe von Melbourne, bevor ich ihn dann endlich abholen durfte. Da der Mistkäfer extrem krüsch ist, was sein Futter betrifft, hatte er dort reichlich abgenommen, obwohl die ihm wirklich alles angeboten hatten, was auf dem Markt war. Hier im Haus angekommen, hat er erstmal alles untersucht und hat sich dann aber überraschend schnell gewöhnt, bis dann 2 Wochen später Chandu als Welpe nachkam, das hat ihn dann doch schockiert 😀 Heute verstehen sich die Beiden gut, ohne Probleme. Ne, Charlie war immer eine Indoor-Katze und ist auch hier geblieben, er hat auch gar keine großen Ambitionen, nach draußen zu gehen. Hier ist er zweimal auf der Terrasse spazieren gegangen, aber dann auch ganz schnell wieder rein. Ich habe den Eindruck, den Beiden geht es hier wirklich gut.

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