Die Unvorhersehbarkeit des Tages

Die Unvorhersehbarkeit des Tages


Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, was ich an meinem Leben in Australien wohl am meisten mag und zu schätzen weiß, ein ganz wesentlicher Bestandteil ist die Unvorhersehbarkeit des Tages. Ich weiß eigentlich morgens beim Aufstehen nie, was dieser Tag bringen wird, denn ich habe, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine Termine und das ist ein unglaublicher Luxus, den ich liebe. Ich muss alle zwei Wochen nach Gellibrand zum Tip um meinen Müll loszuwerden, denn eine Müllabfuhr haben wir in meiner Straße nicht und ich muss morgens einen langen Spaziergang mit meinem Chandu machen, damit er auf seine Känguru-Jagdquote kommt, aber ansonsten bin ich frei. An den meisten Tagen kenne ich nicht einmal den Wochentag, weil es hier einfach keine Rolle spielt, die Geschäfte haben hier auch am Samstag und Sonntag geöffnet. So liebe ich es, aufzustehen und die Freiheit zu haben, mir etwas für den Tag zu überlegen. Nach einem Blick aufs Handy könnte ich den Hund ins Auto packen und an den Strand fahren, an dem wir dann zu 99% allein sein werden, vorausgesetzt, das Wetter passt. Ich liebe es, neues Gemüse zu ziehen oder Lavendel zu pflanzen. Ich liebe es, im Sommer auf meiner Terrasse zu sitzen und zuzuhören, wie die Zirkaden um die Wette brüllen, während hinter den Bäumen die Sonne untergeht und ich liebe es, morgens mit Chandu auf Wegen zu gehen, auf denen so gut wie nie jemand geht, den Nebel beim sich auflösen zu beobachten und dabei zu sein, wenn die Welt einen neuen Tag einläutet.

 
Es ist diese totale Freiheit, die mit Geld nicht zu bezahlen ist, allein das Nichtvorhandensein von Terminen, Verabredungen, gesellschaftlichen Verpflichtungen und anderen Dingen, die einen in irgendeiner Form unter Druck setzen, ist unglaublich. Ich liebe es, mich auf meinen John Deere zu setzen und eine Stunde lang meinen Rasen zu mähen, weil es dann hinterher einfach schön aussieht und ich liebe es, nach Apollo Bay zu fahren, mir im Fishermans Co-op ein Fishermans Basket zu kaufen, mich auf eine Bank zu setzen und beim Essen auf die Bay zu gucken. Ich liebe die Ruhe und diese unendlich schöne Natur, ich mag es, meinen Papageien zuzugucken, wenn sie sich um die Körner streiten, die ich ihnen hinstreue und ich freue mich, wenn ich auf der Straße einen meinen Nachbarn treffen, denn es geht nie ohne ein Gespräch, einfach weitergehen oder vorbeifahren ist undenkbar. Hier auf dem Land halten die Leute irgendwie zusammen, wohl auch wegen der Weitläufigkeit und der Gefahr durch Waldbrände, man ist aufeinander angewiesen. Das Leben hier ist vielerlei Hinsicht so anders als das, was ich in den Jahren zuvor in meiner Heimatstadt Hamburg gelebt habe, aus meiner Sicht so viel besser und erstrebenswerter.

 
Ich liebe es, morgens die Terassentür zu öffnen und die Elstern singen zu hören, denn dieser Gesang ist so typisch australisch und hat überhaupt nichts mit dem Gekrächze der europäischen Elstern gemeinsam. Ich mag es, früh ins Bett zu gehen, denn ich verpasse nichts, wenn ich mir die Nächte um die Ohren schlage und ich mag es, früh aufzustehen, wenn es draußen noch dunkel ist und um den Tag beim Aufwachen zu beobachten. Aber am meisten mag ich, dass ich Abends schlafen gehe und keine Ahnung habe, womit mich der nächste Tag überraschen wird, denn außer mit Chandu spazieren zu gehen habe ich keine anderen Verpflichtungen, außer denen, die ich mir selbst mache.

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