ANTRAG BIS ZUM VISUM

Am Anfang war nicht das Feuer, sondern die Absicht. Meine Tochter ging im Jahr 2009 für ein halbes Jahr als Austauschschülerin nach Australien, zu ihrem großen Glück fiel die Wahl der Organisation, mit der sie reiste, auf Melbourne. Viele Dinge waren gut (die Gastfamilie, die Stadt etc.), einige Dinge waren wenigen gut wie z.B. die Schule. Anyway, dies soll nicht das Thema sein, sondern ich möchte meinen ersten Bezug zu diesem Land schildern. Denn entstanden ist die Idee, nach Ende ihres Schuljahres eine gemeinsame Reise zu unternehmen, doch vor dieser Reise stand die Planung.

Wir wollten nicht an nur einen Ort reisen, denn dafür ist der Flug einfach zu lang und die Entfernung zu groß. Nein, die Idee war, in etwas über 2 Wochen so viel wie möglich zu erkunden, doch wie stellt man das an? AirBNB war erst ein Jahr zuvor gegründet worden und steckte noch in den Kinderschuhen, also blieb das Wohnmobil, zumal es in Australien auch kein so ausgedehntes Netz an Motels gibt wie beispielsweise in den USA.

Wir starteten also in Melbourne und fuhren die Ostküste hoch Richtung Sydney. Ohne einen echten Reiseplan, ohne konkrete Vorstellungen, wie viele Kilometer wir pro Tag zurücklegen wollten, wo wir am Abend eines Reisetags sein wollten, einfach nur drauflosfahren und dann mal gucken, für mich eine der besten Reisearten überhaupt. Von Melbourne über Mallacoota, Narooma, Wollongong, Newcastle, Port Macquarie, vorbei an Byron Bay, Brisbane, Sunshine Coast, Bundaberg, Mackay, bis Arlie Beach. Hier unternahmen wir eine Boots- und Schnorcheltour ins Great Barrier Reef, auf die Whitsundays, absolut unvergleichlich. Zurück ging es dann durch das echte Outback (wobei für Australier eigentlich jedes Stück Land 30 km außerhalb der großen Städte als Outback gilt). Collinsville, Clermont, Emerald, Roma, Moree, Dubbo, Wagga Wagga, Albury, Ballerat, bis nach Warnambool. Dann über die wunderschöne Great Ocean Road zurück nach Melbourne, ca. 6.500 km in etwas mehr als zwei Wochen. Wir trafen extrem freundliche Menschen, kuriose Tiere, keine Schlangen oder Spinnen, keine Krokodile oder Haie und am Ende der Reise stand für mich fest, dass es nicht mein letztes Mal in diesem Land sein würde.

2012 und es änderte sich im Grunde alles. Meine Tochter hatte sich entschlossen, zurück nach Australien zu gehen, dort zu leben und zu studieren. Für mich als alleinerziehender Vater eine harte Zeit, aber es gelang mir, aus dem Verlust eine Chance und Herausforderung zu machen. Denn ich beschäftigte mich fortan mit unterschiedlichen Gedanken besonders bzgl. dem Plan, wie meine persönliche Zukunft aussehen sollte. Beruflich hatte ich mich in den letzten 30 Jahren ausschließlich mit Printwerbung beschäftigt und in welche Richtung sich dieses Geschäft bereits damals entwickelte, sollte jedem bewusst sein. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis man damit kein Geld mehr verdienen könnte.

Ein weiterer Gedanke: Mag ich die Vorstellung, dass ich mein einziges Kind in Zukunft mit etwas Glück noch einmal pro Jahr live sehen könnte? Hinzu kam, dass ich das Leben in Europa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen bereits 2012 bestenfalls erträglich fand, für meine Zukunft jedenfalls stellte ich mir etwas anderes vor. Entsprechend schnell war ein Entschluss gefasst, dessen Tragweite, auch und besonders für das Leben in den darauffolgenden Jahren, nicht ansatzweise zu erahnen war. Dennoch, ich wollte möglichst bald in Australien leben, doch wie stellt man das nun in der Praxis an? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meinen Freunden Richard und Sue in Montrose/Melbourne, welches ich bei einem gemeinsamen BBQ mit Sue’s Bruder und dessen Frau führte. Als ich ihnen von meinen Plänen berichtete, kam die spontane Antwort: „Vergiss es, das ist so gut wie ausgeschlossen“. Alex, Sue’s Bruder, meinte dann allerdings: „Guck doch mal, ob das nicht irgendwie über deine Tochter geht“. Zurück in Deutschland begann der Prozess damit, sich erst einmal schlau zu machen, was man überhaupt tun kann, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt bzw. ob es überhaupt eine Chance gibt.

Bei meinen Recherchen erfuhr ich dann zu meiner Überraschung, dass es in Australien zwischen dem normalen Touristen-Visum für 3 Monate und der australischen Staatsbürgerschaft (damals zumindest) exakt 99 verschiedene Visums-Arten gibt und nun galt es, das für mich optimale respektive mögliche Visum zu finden. Nachdem ich tagelang australische Behörden-Texte gelesen hatte, wurde ich fündig, für mich kam einzig das Contributory Parent (Class UT – Temporary) (subclass 173) infrage. Dieses Visum kann man beantragen, wenn mindestens 50% der eigenen Kinder bereits mit mindestens einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis im Land leben und wenn man zwei „Sponsors“, also Bürgen, benennen kann, die im zweifelsfall für einen bezahlen, sollte dem Antragsteller das Geld ausgehen. Problem dabei: Dieses Visum konnte ich erst dann beantragen, wenn meine Tochter ihrerseits Inhaberin eines Dauervisums wäre. Meine Tochter war im März 2013 ausgereist, hatte dann in Australien ihr erstes Visum (temporary) beantragt, auf das sie ca. ein Jahr warten musste. Nachdem sie dieses Visum erhalten hatte, beantragte sie umgehend eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, hierauf musste sie erneut 1 1/4 Jahre warten, ich konnte also meinen eigenen Antrag erst fast 2 1/2 Jahre, nachdem mein Kind Deutschland verlassen hatte, abschicken. Ich nehme mal an, dass sich jeder vorstellen kann, wie es einem dabei geht und dass man das alles wirklich wollen muss, um sich diese Zeitspannen antun zu wollen.

Irgendwann war es dann soweit und ich konnte einen 46-seitigen Antrag zur Post bringen. Wer nun denkt, dass dies eigentlich eine recht simple Sache sein müsste, den muss ich enttäuschen, denn wer selbst schon einmal an deutschen Behörden verzweifelt ist, kennt die australischen nicht. Zuerst einmal der Antrag selbst, sie wollen wirklich alles wissen. Alles. Sämtliche Angaben zur eigener Person, von der Geburtsurkunde, über Schulabschluss-Zeugnissen, Bundeswehr-Unterlagen, Unterlagen aus dem Studium, bis hin zu detaillierten Angaben, wo und wann man in den letzten 10 Jahren im Urlaub war. Das Ganze aber bitte übersetzt und amtlich beglaubigt, was bereits hier ein Höllengeld kostet. Ich kann mich noch gut an eine Aktion erinnern, als ein zeitlich begrenztes Visum bereits so gut wie anerkannt worden war, wo aber die australischen Behörden unbedingt noch ein aktuelles Führungszeugnis benötigten, weil zwischen meiner Antragstellung und der (Fast)-Erteilung mehrere Jahre ins Land gegangen waren.

Es war mitten in der Covid-Zeit, man konnte also nicht einfach zum Ortsamt laufen und ein Führungszeugnis beantragen. Also online, was für ein Akt. Schließlich gelang es und ich beantragte in weiser Voraussicht gleich die internationale Form des Zeugnisses, immerhin kannte ich „meine Australier“ schon ein wenig. Der Antrag lief über das Ortsamt, das Zeugnis kommt aber aus Berlin und das dauert (und kostet).

Irgendwann war es dann da und ich schickte es mit der Post, denn eingescannte Dokumente, die online gemailt werden, akzeptieren die australischen Behörden nicht. Ein jeder erinnere sich bitte an die Post während Corona, da lief kaum etwas und dann ein Brief nach Australien. Viele Wochen später bekam ich dann eine Mail, das eingereichte Führungszeugnis würde nicht anerkannt werden, es sein den Australiern nicht „international“ genug. Also wieder Kontakt zum Ortsamt, wo mir eine überaus freundliche Mitarbeiterin erklärte, dass das Zeugnis, welches ich geschickt hatte, bereits das internationale gewesen sein, internationaler geht es nicht in Deutschland. Zur Erklärung: Alles auf diesem internationalen Führungszeugnis ist auf Deutsch, Englisch und Französisch, nur ein Wort ist nicht übersetzt, das Wort FÜHRUNGSZEUGNIS. Dies wollten die australischen Behörden so nicht akzeptieren, bis mir die freundliche Mitarbeiterin im Ortsamt eine Mail mit der offiziellen Erklärung der Hamburger Behörden schrieb, dass es in Deutschland eben nicht internationaler geht als das, was ich vor Monaten geschickt hatte. Diese Erklärung der deutschen Behörden mailte ich also an das australische Department of Home Affairs und plötzlich wurde das Führungszeugnis, welches vorher noch abgelehnt worden war, anerkannt. Sachen gibts….

Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung beim Versand des 46-seitigen Visumsantrag plus der diversen kopierten, übersetzten und beglaubigten Dokumente ist herauszufinden, wohin man den Antrag überhaupt schicken soll. Tatsache ist nämlich, dass einige Visums-Arten in Canberra bearbeitet werden, andere wiederum in Sydney oder Melbourne. Nachdem ich tagelang in den Tiefen der australischen Behörden gesucht hatte, fand ich auf irgendeiner eigentlich belanglosen Subpage eine Adresse, mein Antrag musste nach Perth, also an die Westküste. Dorthin schickte ich das dicke Paket also und dann passierte – nichts. Irgendwann nach Wochen erhielt ich eine Mail mit einer Eingangsbestätigung und der Zahlungsaufforderung, bitte überweisen sie ca. 3.000 Dollar pronto. Natürlich überwies ich umgehend, ansonsten wäre mein Antrag bereits an dieser Stelle gescheitert. By the way, sollte der Antrag abgelehnt werden, ist das Geld weg, man hat keinerlei Anspruch auf Rückerstattung.

Nach der Überweisung und der Bestätigung des Zahlungseingangs herrschte Sendepause, ungefähr 5 Jahre lang. Es ist nicht so, dass man einen Zwischenbescheid bekommt oder darüber informiert wird, in welcher Phase sich die Entscheidungsfindung abspielt, man ist allein. Antrag weg, Geld weg, Stille. Vielleicht kann sich der eine oder andere Leser vorstellen, was dies mit einem macht. Mein Entschluß stand ja fest, ich war dabei, mein Haus zu verkaufen und langsam die Brücken hinter mir abzubrechen, auf der anderen Seite hatte ich keinerlei Garantie dafür, dass mich die Australier „wollten“. Ich entschloss mich, mein soziales Leben auf ein Minimum zu reduzieren, denn nichts wäre schlimmer gewesen, hätte sich irgendetwas ereignet, dass mich nach Jahren des Wartens ins Zweifeln gebracht. Also: Kein Eintritt in irgendeinen Sportverein, Fitness-Studio und auch keine Verabredungen oder Dates.

Ich wußte, dass mich niemand auf meiner Reise würde begleiten können, es machte also keinen Sinn. Dann irgendwann eine Mail, mein Antrag wäre bisher positiv bewertet worden, jetzt möchte Australien doch gern einen Überblick über meine gesundheitliche Situation, sprich ein kompletter ärztlicher Check. Normalerweise sollte man glauben, dass es in der Millionenstadt Hamburg einen Arzt gibt, der sowas durchführen kann, aber nicht mit meinen Aussies. Die akzeptieren in ganz Deutschland nämlich nur zwei ärztliche Einrichtungen, die eine ist in Frankfurt, die andere in Berlin. Ergo führte mich mitten der schönsten Pandemie mein Weg eines Tages morgens um 5 Uhr in die Bundeshauptstadt.

Nachdem dann zum Glück auch die ärztliche Untersuchung gezeigt hatte, dass ich den Strapazen einer Auswanderung gewachsen sei, gab es die nächste mehrmonatliche Funkstille. Nach nunmehr knapp 8 Jahren hatte ich mich daran gewöhnt. Woran man sich nicht gewöhnt, sind die Zweifler. Natürlich hatte ich seit 2013 vielen Freunden und Bekannten von meinem Vorhaben erzählt und jedesmal, wenn ich jemanden nach mehreren Monaten oder Jahren (Klassentreffen z.B.) wieder sah, hört ich: „Ich denke, du wolltest nach Australien. Das wird wohl nichts.“

Kaum jemandem kann man glaubhaft erklären, dass sich dieser Prozess über am Ende fast 10 Jahre hinziehen kann, einige haben wohl vermutet, ich würde einem Phantom nachjagen. Und dann, ausgerechnet am Geburtstag meiner Tochter, die Mail. Wir erteilen ihnen das von ihnen beantragte Visum. Ein irres Gefühl nach dieser langen Zeit, aber das Gefühl wäre noch besser gewesen, hätte nicht ein Virus namens Covid-19 den Planeten im Griff gehabt und die Australier ihr Land für den Rest der Welt geschlossen. Um es kurz zu machen, es ging am Ende wieder ein Jahr ins Land, bis ich mich nach diversen PRC-Tests und gefühlten 4 Millionen Behördengängen (kaum einer kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, sich als deutscher Bürger aus diesem Land abzumelden) an Bord gehen konnte. Die Odyssee hatte ein Ende und mein neues Leben konnte beginnen.

P.S. Dies war übrigens die Kurzform der mentalen Strapazen

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