Auch nach 2 1/2 Jahren hier in Australien werde ich sowohl von Bekannten in Deutschland wie auch von australischen Freunden gefragt, ob ich irgendwas vermisse und ich glaube, ein Geheimnis für meine eigene Zufriedenheit hier ist der Umstand, dass ich tatsächlich nachdenken muss. Vermisse ich irgendwas aus Mittel-Europa, was ich hier nicht habe, was es hier nicht gibt und worauf ich nur mit Schwierigkeiten verzichten kann? Sicher, ich vermisse meine Eltern, vermisse den direkten Austausch, obwohl man durch Facetime und Skype eine Menge auffangen kann, aber „live-haftig“ ist dann doch immer noch etwas anderes. Ich vermisse auch 2 oder 3 Freunde/gute Bekannte, aber aufgrund dessen, dass ich mich während meiner knapp 9 Jahre langen Wartezeit auf mein Visum ziemlich rar gemacht hatte, was soziale Kontakte in Deutschland betrifft, ist die Anzahl überschaubar. Und sonst?
Nun, ich würde gern mal wieder ein echtes Brötchen mit Krabbensalat essen und als gebürtiger Hamburger wäre auch ein Franzbrötchen nett, aber es ist nicht so, dass ich mir die Fingernägel runterkaue, weil ich dies hier nicht bekommen kann. Auch vermisse ich Diskussionen jeglicher Art in meiner Muttersprache eigentlich nicht, denn zum Glück kann ich mittlerweile derartige Gespräche in australischem Englisch führen, wenn mir danach ist. Ach ja, ich hätte gern mal wieder mein Lieblings-Restaurant in Hamburg, das „El Pulpo“ in Wandsbek besucht, allerdings musste ich neulich im Abendblatt lesen, dass der Laden nach 30 Jahren aufgibt, sehr traurig. Ansonsten gibt es tatsächlich nichts hier, was ich vermisse. Ich bin nie ein großer Theatergänger gewesen und während ich in jüngeren Jahren gern ab und zu ins Kino gegangen bin, hat diese Begeisterung besonders durch das asoziale Verhalten anderer Kinobesucher im Laufe der Zeit mehr und mehr nachgelassen, also auch nichts, was ich vermissen.
Man sieht, die wenigen Dinge, die ich hier nicht bekommen kann, sind zu vernachlässigen, denn was habe ich im Gegenzug erhalten? Großartige Natur, frische Luft, eine Ruhe, die körperlich zu spüren ist. Ich habe keine nervigen Nachbarn (mehr) und ich habe im Gegensatz zu Norddeutschland keine 3 Monate mit schönem Wetter, sondern 8. Ich kann mich ins Auto setzen und in 30 Minuten ans Meer fahren, an dem Strand bin ich dann sogar im Sommer zumeist allein mit Chandu. Ich könnte, wenn mir danach ist, in 1 3/4 Stunden nach Melbourne fahren, eine der aufregensten und schönsten Städte, die ich kenne. Ich habe all die politischen und gesellschaftlichen Probleme, die das Land Deutschland von Jahr zu Jahr mehr bedrücken, hinter mir gelassen, vieles, was den Menschen in anderen Teilen der Welt Angst macht, ist hier sehr weit weg. Ich denke, dann kann man schon mal auf ein Krabbenbrötchen verzichten.