Heute habe ich durch puren Zufall ein kurzes Video auf Facebook gesehen, es ging um die Erfahrung mit Tieren in Alaska. Dort fanden sich bei einer Familie morgens zum Frühstück Seeadler, Füchs und Wölfe ein und es wurde darauf hingewiesen, wie außergewöhnlich dies doch für den deutschen Durchschnittsbürger sei. Nun, es soll wahrlich nicht abgehoben klingen, aber beeindruckt bin ich nicht, denn vergleichbare Begegnungen gehören für mich inzwischen zum Alltag. Aber ich kann behaupten, dass diese unmittelbaren Begegnungen mit der Natur meine Perspektive als Großstadtjunge nachhaltig verändert haben und dies gilt nicht nur in Bezug auf Flora und Fauna. Wenn ich morgens aufwache, ist es stockdunkel, weil ich gemessen an meine Hamburger Zeit extrem früh (zumindest im Herbst und im Winter) schlafen gehe, entsprechend früh bin ich dann auch wieder wach. Nun habe ich einen großen Hund und der muss morgens als erstes raus, egal, ob es hell oder dunkel, warm oder kalt ist, ob es regnet oder nicht.
Ich lebe auf einem Grundstück mitten im Otway National Park, meine nächsten Nachbarn wohnen ca. 400 m entfernt und es ist australischer Busch, als Großstädter könnte einem dabei also schon mal mulmig werden. Wird es aber schon längst nicht mehr, zum Glück. Ich schnappe mir meine Taschenlampe (ohne die ist man hier wirklich gekniffen) und folgen Chandu ins Dunkel. Rechts an der Hauswand hängt meistens Frank, unser Huntsman, der wohnt dort unter der Lampe und wartet auf Insekten. Manchmal ist es totenstill, manchmal hört man Geräusche von Tiere, die ich früher nicht unterbringen konnte, heute weiß ich, wer da grunzt oder grölt. Später nach dem Frühstück gehe ich raus und füttere meine King Parrots, das ist eine australische Papageien-Art und ich habe Dutzende davon im Garten. Ein Pärchen, ich nenne sie Alan und Lindsey, sind ganz besonders zutraulich, Alan frisst aus der Hand und Lindsey landet auf der Schulter, rennt einmal hinter meinem Kopf herum auf der anderen Schulter und tigert dann den Arm runter, wie gesagt, das sind Wildtiere.
Ich habe einen Fuchs im Garten, sie heißt Theresa und einen eigenen Koala, Luciano, der gerade wieder auf der Suche nach einer neuen Freundin ist und deshalb im Dunkeln röhrt wie ein kanadischer Elch. In meinem Gewächshaus lebt eine Art Salamander (noch ohne Namen), über den ich sehr froh bin, denn er frisst Spinnen, Ameisen und Insekten. Was ich damit sagen will: Ich habe viele meiner Perspektiven verändern können, seit ich in der Natur lebe. Ich habe ein vollkommen verändertes Bild von Tieren und Pflanzen und ich merke an mir selbst, wie wenig ich diese Dinge zu meiner Zeit als Städter zu schätzen wusste. Positiver Nebeneffekt dabei: Man steigert den Respekt vor dem Leben, verliert aber gleichzeitig die Angst vor Dingen, die man nicht kannte. Allerdings bin ich auch überzeugt davon, dass es anders gar nicht geht, denn wenn man hier mit Ängsten vor Spinnen oder Reptilien ankommt, geht man unter. Vor einigen Tagen habe ich ein Emu-Weibchen mit zwei Küken gesehen, was umso erstaunlicher ist, weil es Emus in dieser Gegend eigentlich gar nicht gibt, Emus sind Wüstenvögel, die einzige Emus, die ich bisher gesehen hatte, lebten im Outback in NSW und in Queensland. Ich habe Nachbarn und Freunde befragt und keiner von ihnen hatte hier in den Otways ja einen Emu gesehen, das kommt dabei raus, wenn man selbst im Winter und bei schlechtem Wetter outdoor unterwegs ist.
Natürlich sind Tiere, die für einen europäischen Touristen sensationell anmuten, weil er sie nicht kennt, für mich inzwischen Routine. Ich sehe jeden Tag Wallabies und Känguruhs, über meinem Haus kreisen Keilschwanzadler, in den Gum Tress kreischen riesengroße Yellow-tailed black cockatoos. Aber ich registriere eben auch, dass sich meine Perspektive hinsichtlich Menschen, Politik, Gesellschaft etc. verändert hat. Ein Beispiel: Während der ersten Amstzeit dieses unsäglich Trumps war ich vier Jahre lang im Dauerstress, weil ich mich derart über diesen debilen Idioten geärgert und aufgeregt habe, heute bin ich diesbezüglich eher im australischen Laid back-modus, ich kann über den Schwachkopf nur noch lachen. Eines kann ich also zu 100% behaupten: Meiner Gelassenheit, meiner mentalen Gesundheit hat die Übersiedlung nach Australien extrem gut getan.
Feiner Beitrag! Beschreibt er doch aus dem Alltag heraus die Schönheit und Vielfalt der Schöpfung, der Tierwelt und das Zusammenleben in der Fülle. Und noch etwas in Verbindung a) mit Respekt vor der gesamten Tierwelt und b) mit dem heutigen zutreffenden Thema in deinem HSV Blog: alle Tiere verstehen es, obgleich (oder weil) nur instinktgesteuert, mit Niederlagen und „Verlieren“ umzugehen. Verändern bei Fehlversuchen sofort ihr Jagdverhalten, vermeiden künftig Gefahrenstellen etc. Eine Katze zB geht niemals mehr dorthin wo sie sich mal weh getan hat. Lernt der Mensch, obwohl zusätzlich mit Verstand ausgestattet, aus der Geschichte oder aus Fehlern oder aus Verlieren? Nein, solange er das verdrängt oder sogar noch schön labert. Selbstgemachte Leiden. Bei der Gelegenheit eine Frage zu der Spinne an der Lampe: ist die da dauerhaft stationär oder wandert die auch rum mit Besuchen im Kleiderschrank oder auf Kopfkissen…?
Ne, das war ein kurzfristier Huntsman-Besucher, der sein Glück jetzt wieder im Wald versuchen kann.