Wunsch und Wirklichkeit

Ich muss immer wieder lachen, wenn ich es lese: Besonders bei Facebook ploppt öfter mal eine mir vorher nicht bekannte Seite auf, auf der man eine nette Hütte mitten im Wald sehen kann, meistens in der Nähe von Bergen, oft an einem See. Im Text liest man dann: „Mehr brauche ich nicht zum leben. Eine einsame Hütte, 30 ha Land, einen See und keine Nachbarn“ und wenn ich dann einige der zahllosen Kommentare darunter lese, muss ich noch mehr lachen, denn 99% dieser Kommentatoren haben absolut keine reale Vorstellung von dieser Art Leben. Sicher, keine (lauten oder unangenehmen) Nachbarn zu haben ist eine nette Vorstellung, aber wie sieht es mit den „Nebengeräuschen“ aus? Und ich rede nicht von einem zweiwöchigen Kurzurlaub, um einmal die gestresste Seele baumeln zu lassen, ich rede von einem ständigen Leben unter exakt diesen Umständen. Denn wie sieht das reale Leben in dieser einsamen Hütte denn tatsächlich aus? Fließendes Wasser? Wohl kaum. Schneller Internet-Zugang? Ohne Satelliten-Verbindung nicht möglich. Heizung? Negativ, existiert nicht. 

Wenn’s im Winter schattig wird, muss der Woodheater brennen und für den muss man vorher Holz gehackt haben. Könnten sich die Wunschträumer mit der Tatsache anfreunden, dass man mindestens einmal die Woche 1 1/2 Stunden hin, 1 1/2 Stunden zurück zum Einkaufen ins nächste Kaff fahren muss, wenn man nicht verhungern möchte? Und könnten sie damit leben, dass in diesem Kaff garantiert nicht alles vorhanden ist, was sie gern hätten? Was passiert, wenn im Herbst nach einem Sturm auf der einzig befahrbaren Straße zu diesem Kaff ein Baum liegt und die Weiterfahrt verhindert? Verhungern sie dann oder haben sie sich rechtzeitig eine Kettensäge beschafft, um mit Stihl und Seilzug das Problem zu lösen? Wenn in Deutschland die Regenrinne überläuft, weil sich zuviel Laub darin angesammelt hat, läuft sie über, aber das ist kein Drama. Wenn man duschen oder kochen möchte, dreht man den Hahn auf und das Wasser läuft. Wenn ich vergesse, meine Regenrinnen regelmäßig zu säubern, laufen sie ebenfalls über, aber es wäre ein Drama, weil sich dann meine Wassertanks nicht mehr füllen würden. Irgendwann hätte ich kein Wasser mehr, denn eine Wasserleitung existiert nicht. Andererseits muss ich auch nicht für Wasser bezahlen.

Tatsache ist, das Leben in der Wildnis ist, zumindest für eine bestimmte Gattung Mensch, durchaus erstrebenswert, aber es hat eben auch seinen Preis und den muss man bereit sein zu zahlen. Wer abhängig ist von Bars, Clubs, Theater oder Lieferservice sollte lieber in der Stadt bei den ätzenden Nachbarn und den idiotischen Mitbürgern bleiben, denn wenn man im Wald eine Pizza möchte, dann muss man sie selbst machen oder hungern, denn hier liefert niemand. Überhaupt muss man relativ schnell lernen, Dinge, für die man früher jemanden engagierte und bezahlte, selbst zu machen, sonst geht man unter. Die Australier sagen von sich: „Wir können vielleicht nichts wirklich perfekt, aber vieles einigermaßen gut“ und genau darum geht es hier. Es geht nicht darum, dass es stylisch aussieht, sondern dass es funktioniert. Hier draußen interessiert sich kein Mensch für deine Klamotten oder deine Frisur, man interessiert sich dafür, was für eine Art Mensch du bist und ob man im Zweifelsfall auf dich zählen kann. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich im Alter von 30 oder 40 Jahren für dieses Leben nicht geschaffen gewesen wäre, davor noch weniger. Ich habe Hunderte oder Tausende von Tagen und Nächten in Bars, Clubs (früher hieß das Disko), Kinos, auf Konzerten oder bei Dates verbracht und ich bin mir sicher, dass ich diese Zeit brauchte, um der Mensch zu werden, der heute die Ruhe und Einsamkeit zu schätzen weiß. Ich brauche all das nicht mehr, ich habe es gehabt und weiß, dass es nicht glücklich und zufrieden macht, aber es war notwendig, es zu tun.

Wer also mit einem Leben dieser Art sympathisiert oder liebäugelt, sollte sich vorher darüber im Klaren sein, was er aufgibt und ob er bereit ist, all das aufgeben zu wollen, bevor man vorschnell zum dem Schluss kommt: „Genau das will ich, das ist mein Traum“. Es stimmt, es ist ein Traum, aber man muss eben genau diesen Traum so wollen und annehmen, wie er ist und nicht der Illusion verfallen, man wäre einsam und allein im Wald, hätte aber jederzeit die Möglichkeit, die vermeintlichen Annehmlichkeiten des Stadtlebens aktivieren zu können, denn das geht nicht. Entweder, oder. Denn während ihr in Deutschland im November eure Heizungen auf 4 schaltet, damit ihr euch nicht den Hintern abfriert, gehe ich in den Garten und hacke 4 Raummeter Feuerholz für den nächsten Winter. Klingt vielleicht ganz romantisch, geht aber freundlich in Rücken, Armen und Kreuz, besonders dann, wenn man nicht mehr 25 ist. Aber wenn man anschließend den vollen Schuppen sieht und weiß, dass man genug für den anstehenden Winter hat, war es das allemal wert. Das ist mein Leben und genauso habe ich es gewollt. Ich möchte um keinen Preis der Welt mehr mit euch tauschen, denn vielleicht sollte man sich erst einmal folgende Frage beantworten, bevor man sich für ein solches Leben „bewirbt“: Welches ist das wahre, das echte, das reale Leben? Das Leben mit den überteuerten Restaurants, den überteuerten Drinks, den Fake-Freunden, die eher Follower als Mates sind? Das Leben in der Stadt, welches mehr und mehr einem Leben in sozialen Medien entspricht als allem anderen? Oder das Leben, in dem ein Kumpel mit seinem Trecker kommt, um dein Auto von der schlammigen Wiese zu ziehen, weil er weiß, dass du das Gleiche auch für ihn tun würdest? 

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