Tja, warum bin ich nach knapp 10 Jahren des Wartens am Ende in einem Ort ohne Ort gelandet, denn Kawarren ist kein echter Ort. Es ist mehr ein Landabschnitt oder eine Postleitzahl, unter der sich einige Dutzend Häuser und Höfe versammeln, aber es gibt keine Ortschaft, keine Straße mit Geschäften, keine Restaurants oder gar eine Bäckerei, es gibt eigentlich nichts außer den Häusern, die auf größtenteils riesigen Grundstücken von mehreren Hektar stehen. Die nächste sogenannte Ortschaft von mir aus gesehen ist Gellibrand, dort gibt es einen Zeltplatz für Touristen, einen Bottleshop, der auch gleichzeitig als Post Office fungiert und eine Art Galery. Man fährt nach Gellibrand rein und nach 20 Sekunden oder weniger ist man auch schon wieder raus, nicht einmal eine Tankstelle gibt es, die nächste ist im 20 km entfernten Colac. Doch warum bin ich nun eigentlich hier gelandet? Um ehrlich zu sein, der Plan war ein anderer, denn nach der Reise mit meiner Tochter im Campervan hatte ich mich in die Gegend an der berühmten Great Ocean Road verliebt, an Orte um Johanna, Glenaire oder Yuulong, denn ich wollte unbedingt in Strandnähe leben, Johanna Beach ist mein absoluter Lieblingsstrand.
Und so startete meine Suche nach einen netten kleinen Haus bereits ab ca. 2013 und ich kann behaupten, dass ich im Laufe der Jahre besser über den Immobilienmarkt im Bilde war als jeder ansässige Makler. Ich wusste, welches Haus wie lange auf dem Markt war, bei welchem Haus der Verkaufspreis reduziert werden musste, welches Haus im Laufe der Jahre mehrfach verkauft wurde. Jeden Tag war ich online und schaute mir die Angebote auf realestate.com.au an und zwischen 2013 und 2022 gab es viele, die mir gefallen und die in mein Budget gepasst hätten. Doch natürlich kauft man kein Haus ohne gültiges Visum, aber ich wollte für den Fall der Fälle bestens vorbereitet sein. Dann kam Covid und mit dem Virus kam die Stadtflucht. Nicht nur in Deutschland explodierten die Immobilienpreise, in Australien war es noch extremer. Ein Beispiel: Ich hatte ein Haus in Johanna gesehen, welches mir wirklich gut gefiel und dieses Haus war monatelang auf dem Markt. 2018 wurde es dann für 470.000 Dollar verkauft, ich war geknickt. Wenige Tage, nachdem ich mein Visum erhalten hatte, war das gleiche Haus wieder auf dem Markt, Richtpreis diesmal: 1,2 Millionen Dollar. Keine zwei Wochen später war das Haus vom Markt und bei mir machte sich leichte Panik breit. Denn realistisch betrachtet war mein Plan, in relativer Strandnähe wohnen zu können, nicht mehr umzusetzen, es gab kein Haus mehr unter 800.000 Dollar und das wollte und konnte ich nicht bezahlen. Irgendwann schrieb ich eine Bekannte von mir via Facebook an, die vor Ort lebt und das Conservation Ecology Centre in Cape Otway gegründet hat.
Lizzie Corke antwortet umgehend und gab mir den Tipp, mein Anliegen in einer Facebook Gruppe namens „Otway community news“ zu platzieren, denn Lizzie wusste, dass hier auf dem Land viele Leute ihre Häuse ohne Makler verkaufen möchten, da in Australien der Verkäufer die Makler-Courtage allein zu tragen hat. Ich wurde also Mitglied in dieser Gruppe und schilderte mein Anliegen. Umgehend bekam ich Zuschriften, einige von vor Ort sitzenden Maklern, die ein Geschäft witterten, aber auch von Privatpersonen und eine davon war eine Frau aus Melbourne. Sie schrieb mit, dass sie im Besitz eines netten kleinen Beach Houses wäre, welches sie zu verkaufen gedenkt. Sie schickte mir ein paar Bilder und ich machte mich schlau, wo denn dieses Kawarren liegen würde. Okay, es war nicht am Strand, aber von mir bis Johanna Beach fahre ich 30 Minuten, mein Arbeitsweg in Hamburg hatte teilweise doppelt so lange gedauert. Außerdem liegt es nur 20 km von Colac entfernt, was aus Einkaufssicht nicht verkehrt ist, denn auch von den Strandorten Johanna oder Glenaire muss man zum Einkaufen nach Colac und dann fährt man gern schon mal eine Stunde, pro Strecke. Auf den Bildern gefiel mir das Haus sehr gut, also fragte ich meine Tochter, ob sie vielleicht einmal aus Melbourne anreisen und eine vor Ort Besichtigung durchführen könnte. Zwei Wochen später war meine Tochter in Kawarren und von Gegend und Haus begeistert. Da ich dem Urteil meiner Tochter vertraute, entschied ich mich, ein Haus im Wert von mehreren Hunderttausend Dollar zu kaufen, ohne es gesehen zu haben.
Ich habe es zu keinem Zeitpunkt bereut.